Kunden von Lebensversicherungsunternehmen haben unter bestimmten Voraussetzungen ein „ewiges“ Widerspruchsrecht. Seitdem der Bundesgerichtshof (BGH) dies vor rund zwei Jahren entschieden hat (Az. IV ZR 76/11, siehe BaFinJournal November 2014 sowie Infokasten Seite 21), beschäftigen die Folgen Verbraucher wie Unternehmen gleichermaßen.
Viele Versicherungsnehmer stellen sich die Frage, ob diese Möglichkeit für sie in Betracht kommt. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn sie ihren Vertrag – unabhängig davon, ob er noch läuft oder schon beendet wurde – zwischen 1994 und Ende 2007 nach dem Policenmodell (siehe Infokasten Seite 20) geschlossen haben und der Versicherer sie damals nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt hat. Wenn ja, müssen sie prüfen, ob sich ein nachträglicher Widerspruch lohnt – je nach individueller Situation kann es auch sinnvoller sein, den Vertrag einfach weiterlaufen zu lassen. Viele beantworten auch diese Frage mit Ja. Die Lebensversicherer sehen sich daher seit dem BGH-Urteil einer hohen Zahl an Widersprüchen ausgesetzt. Das stellt sie ihrerseits vor große Herausforderungen, geht es doch teilweise um Verträge, die bereits seit mehreren Jahren beendet sind. Die Unternehmen müssen die Berechtigung jedes einzelnen Widerspruchs prüfen. Das führt zu einem hohen Verwaltungsaufwand – zusätzlich zu etwaigen Rückzahlungen.
Seit dem Urteil von 2014 haben der BGH und andere deutsche Gerichte verschiedene Rechtsfragen zu dessen Auswirkungen geklärt. Diese waren regelmäßig auch Gegenstand von Verbraucherbeschwerden bei der BaFin. Der vorliegende Beitrag erläutert, welche Rechte Verbraucher konkret haben.
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Die BGH-Ausgangsentscheidung von 2014 finden Sie unter:
https://juris.bundesgerichtshof.de/
Widerspruchsbelehrung ordnungsgemäß?
Eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung in den betreffenden Verträgen muss den Versicherungsnehmer laut § 5a Versicherungsvertragsgesetz alter Fassung (VVG a.F.) in drucktechnisch deutlicher Form über sein Widerspruchsrecht belehren. Sie muss ihn außerdem unter anderem darauf hinweisen, wann die 30-tägige Widerspruchsfrist beginnt, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen beim Versicherungsnehmer eingehen. Bei Verträgen, die ab dem 1. August 2001 geschlossen wurden, muss die Belehrung zu dem den Hinweis enthalten, dass der Widerspruch in Textform erfolgen muss; er ist also nicht nur per Brief möglich, sondern beispielsweise auch per E-Mail.
Die Rechtsprechung hat die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung weiter konkretisiert. In formeller Hinsicht muss etwa der Adressat des Widerspruchs – der Versicherer – darin nicht genannt werden, da er laut BGH für den Kunden ohne Weiteres erkennbar ist (Az. IV ZR 496/14). Als drucktechnisch deutliche Hervorhebung kann dem BGH zufolge sowohl eine Umrandung als auch Fettdruck angesehen werden, wenn der übrige Text nicht ebenfalls fettgedruckt ist (Az. IV ZR 41/13 und IV ZR 35/14).
Inhaltlich muss der Begriff der „Textform“ in der Belehrung nicht erläutert werden (unter anderem BGH Az. IV ZR 29/13). Der Versicherungsnehmer könne diesem Begriff entnehmen, dass der Widerspruch in lesbarer Form übermittelt werden und der Urheber erkennbar sein müsse, so die Begründung des BGH.
Viele Verbraucher, die ihre Widerspruchsbelehrung als nicht ordnungsgemäß empfinden, wenden sich mit einer Beschwerde an die BaFin. So hatte in einem Fall der Versicherer angegeben, die Widerspruchsfrist beginne zu dem Zeitpunkt, an dem der Versicherungsschein beim Versicherungsnehmer eingehe. Dies ist jedoch unzureichend: In der Folge wurde entsprechend § 5a Absatz 1 und 2 VVG a.F. gerichtlich bestätigt, dass aus der Belehrung hervor-gehen muss, dass die Frist erst beginnt, wenn der Versicherungsnehmer auch die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen erhalten hat.
Höhe des Rückzahlungsanspruchs
Als Rechtsfolge eines wirksamen Widerspruchs hatte der BGH 2014 geurteilt, dass der Versicherungsnehmer dem Grunde nach die Rückzahlung der Prämien verlangen kann, die er an den Versicherer gezahlt hat. Hiervon sei der Versicherungsschutz abzuziehen, den der Kunde während des Vertrages genossen hat – dies könne etwa der Risikoanteil der Prämie sein. In mehreren Folgeentscheidungen erkannte der BGH weitere Posten als abzugsfähig an (Az. IV ZR 384/14, IV ZR 448/14 und IV ZR 513/14:
– die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag, die der Versicherer im Falle einer vorzeitigen Kündigung bei Auszahlung des Rückkaufswerts für den Versicherungsnehmer an das Finanzamt abgeführt hat
– den Rückkaufswert, den der Versicherer im Falle einer Kündigung an den Versicherungsnehmer ausgezahlt hat
– bei fondsgebundenen Lebensversicherungen die Verluste der Fonds, in denen die Sparanteile der Beiträge angelegt worden sind.
Nutzungszinsen sind grundsätzlich ebenfalls herauszugeben, also Zinsen, die der Versicherer mit den Beiträgen des Versicherungsnehmers verdient hat.
Dieser muss jedoch mit Bezug zur Ertragslage des Versicherers beweisen, dass das Unternehmen tatsächlich Nutzungszinsen erzielt hat. Eine pauschale Behauptung, etwa von „5 Prozent über dem Basiszinssatz“, reicht nicht aus. Abschluss- und Verwaltungskosten sowie Ratenzahlungszuschläge muss der Versicherer dem Kunden bei einem erfolgreichen Widerspruch hingegen immer voll zurückzahlen.
Auch zu diesem Thema gehen bei der BaFin Beschwerden ein, etwa weil ehemalige Versicherungsnehmer monieren, dass sie nach einem Widerspruch nicht auch die Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag erhalten, die ihr Versicherer nach der Kündigung abgeführt hat. Hier sind die Versicherer allerdings im Recht, da die Versicherungsnehmer durch die Abführung an das Finanzamt bereits von ihrer Steuerschuld befreit wurden und einen Vermögensvorteil genossen haben. Darauf weist die BaFin die Beschwerdeführer in solchen Fällen hin.
Verwirkung
Viele Verbraucher beschweren sich auch bei der BaFin, weil ihr Lebensversicherer sich auf Verwirkung berufen hat. Der Versicherungsnehmer habe über viele Jahre hinweg Beiträge gezahlt und damit konkludent zum Ausdruck gebracht, am Vertrag festhalten zu wollen, so die Argumentation. Wenn er jetzt dem Vertrag widerspreche, handele er rechtsmissbräuchlich entgegen seines früheren Verhaltens („venire contra factum proprium“). Zwar äußerte der BGH 2014 in einem Urteil, dass sich ein ordnungsgemäß belehrter Versicherungsnehmer
nach jahrelanger Prämienzahlung grundsätzlich nicht mehr per Widerspruch auf die Unwirksamkeit des Vertrags berufen kann (Az. IV ZR 73/13). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Kunde nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist: Dann habe der Versicherer die Situation selbst herbeigeführt und könne sich grundsätzlich nicht auf Verwirkung berufen, so der BGH in seiner oben genannten Ausgangsentscheidung.
In der Folge haben einige Gerichte Ausnahmen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zugelassen: So hatte ein Versicherungsnehmer seinen Lebensversicherungsvertrag zweimal als Sicherungsmittel für Darlehen an eine Bank abgetreten, das erste Mal bereits zwei Monate nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags (BGH Az. IV ZR 130/15).
In einem anderen Fall war ein bereits gekündigter Vertrag auf Bitte des Kunden im Jahr 2000 wieder in Kraft gesetzt worden, bevor dieser im Jahr 2009 dem Vertrag widersprach. Dies ist laut BGH ein „grob widersprüchliches Verhalten“ (Az. IV ZR 117/15). Auch ein Versicherungsvertreter, der das Widerspruchsrecht bei Vertragsschluss 1998 kannte, handelte nach Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart rechtsmissbräuchlich, als er 2008 aufgrund einer nicht drucktechnisch hervorgehobenen Belehrung widersprach (Az. 7 U 147/10).
Gegenüber einem Verbraucher, der sich bei der BaFin beschwerte, hatte ein Versicherer die Verwirkung hingegen auch damit begründet, dass der Vertrag aufgrund der Kündigung 2008 für den Kunden seit mehreren Jahren „erledigt“ sei. Dem steht jedoch die Ausgangsentscheidung des BGH entgegen: Das Widerspruchsrecht besteht auch dann, wenn der Vertrag bereits gekündigt wurde oder abgelaufen ist.
Verjährung
Auch, wenn ein Versicherungsnehmer seinem Vertrag wirksam widersprochen hat, kann der Rückzahlungsanspruch gegebenenfalls verjährt sein.
Anfangs kam es hier häufig zu Streitigkeiten darüber, wann die Verjährungsfrist begann. So hatte in einem Beschwerdefall ein Versicherungsnehmer seinem 1995 begonnenen und 2009 gekündigten Vertrag im Jahr 2014 widersprochen. Laut Versicherer hatte die Regel-Verjährungsfrist von drei Jahren zum Ende des Kündigungsjahres 2009 begonnen und war Ende 2012 abgelaufen. Andere Lebensversicherer wiederum waren in ähnlichen Fällen der Ansicht, dass die Verjährung schrittweise mit jeder einzelnen Prämienzahlung begonnen habe. Im April 2015 sorgte der BGH auch hier für Klarheit (Az. IV ZR 103/15) : Nach seiner Auffassung beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Ende des Jahres, in dem der Widerspruch erklärt wurde. Denn erst mit Ausübung des Widerspruchs sei der Rückzahlungsanspruch entstanden. Im ersten dargelegten Fall endet die Verjährungsfrist demnach erst Ende 2017.
Autor
Dirk Elsner
BaFin Referat für Verbraucherschutz und
Beschwerden über Versicherungen
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